Äthiopien 1990 - die letzte Safari
Während sich in der Heimat dramatische Veränderungen vollzogen, ging für die in's NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) delegierten DDR-Bürger das Leben noch einige Monate fast unverändert weiter.
Unsere letzte große Fahrt ins Landesinnere von Äthiopien unternahmen wir über die Osterfeiertage 1990. Die sorgfältig geplante Route sollte uns diesmal in den Osten des Landes führen bis hin zur mehr als 500km von Addis Abeba entfernten mehr als 1000jährigen Stadt Harer.
Im Unterschied zu unserer vorhergehenden, nunmehr reichlich zwei Monate zurückliegenden Safari nach Arba Minch im Süden von Äthiopien, streifte der Weg diesmal die vom Bürgerkrieg erschütternden Landesteile des Nordens.
Angesichts der sich vom Norden her nähernden Frontlinie war das für Ausländer nicht ganz ungefährlich und so waren wir froh, nach mehrwöchiger Wartezeit unsere "Permission" (Genehmigung) zur Durchführung der Reise von der äthiopischen Sicherheitsbehörde trotzdem zu erhalten.
Auch diesmal begleitete uns das Berliner Ehepaar Jürgen und Beate Hellebrandt mit Tochter Heike, angenehme Leute mit denen wir uns gut verstanden. Jürgen war als Berater für die äthiopische Regierung tätig.
Mit meiner damaligen Ehefrau Ingrid nebst Töchtern Jane und Claudia bestand unsere kleine Reisegesellschaft also aus insgesamt sieben Personen.
Wieder konnten wir uns zwei geländegängige Kleintransporter von unserer Firma INTERCOOP ausleihen, aber diesmal leider nur einen einzigen mit Doppelkabine (Viersitzer mit verkleinerter Ladefläche). Der zweite verfügte nur über eine einfache Kabine (Zweisitzer), hatte dafür aber eine vergrößerte Ladefläche. Für unser Reisegepäck (großes Zelt mit Schlafkabine, Wasser- und Benzinkanister, Getränke und Verpflegung für 5 Tage ...) war deshalb reichlich Platz.
In unserem Fahrzeug waren wir allerdings bezüglich der Sitzplätze etwas beengt, alle drei Kinder mussten auf der Rückbank Platz finden.
1.Tag, Gründonnerstag, 12.4.90, Addis Abeba - Alemaya
Die erste sollte zugleich die längste Etappe unserer Reise werden: Reichlich 400km, davon 300km unbefestigt, lagen vor uns - Grund genug, diesmal bereits 6Uhr in der Frühe zu starten.
Morgendämmerung lag noch über der Hauptstadt, die Straßen waren wie leer gefegt, nur vereinzelte Gestalten hockten vor den elenden Wellblechhütten, fröstelnd in weiße Tücher gehüllt.
Bereits nach 20 Minuten konnten wir den Checkpoint am Stadtrand passieren, nach weiteren 20 Minuten war Debre Zeyit, die nächstgrößere Ortschaft nach Addis Abeba erreicht.
Dieser Ort war mir wohlbekannt, muss ich hier doch wöchentlich einmal am College des größten Luftwaffenstützpunkts des Landes Vorlesungen über Computer halten.
8 Uhr war Nazreth passiert, nun ging es weiter in bislang für uns unbekanntes Gebiet.
Im Groben folgte der Straßenverlauf der einzigen Eisenbahnlinie des Landes, die Addis Abeba mit Djibouti am Roten Meer verbindet. Nur ab und zu bekamen wir die Gleise zu Gesicht, einen Zug sahen wir allerdings nur einmal während unserer gesamten Fahrt.
Unsere Route führte fast ständig durch das Hochland und senkte sich nur ab und zu in tiefere Lagen ab. Die Landschaft war beeindruckend, immer neue Zwei- und Dreitausender prägten den Horizont mit ihren seltsam gezackten und gerundeten Silhouetten.
Am Straßenrand die üblichen Bilder: Schreiende und winkende Menschen, Eselsfuhrwerke und immer mehr Dromedare die teilweise in größerer Anzahl zwischen den Büschen im spärlichen Gras nach Nahrung suchten.
Überall und besonders an den nur mit niedrigem Buschwerk bewachsenen Berghängen waren die erschreckenden Folgen der Bodenerosion zu sehen, Ergebnis eines jahrhundertelangen Raubbaus an den früheren üppigen Waldbeständen. Riesigen Wunden gleich bricht ungeschütztes rötliches Erdreich hervor und wird von den tropischen Regengüssen massenhaft hinweggeschwemmt.
Die großen staatlichen Aufforstungsprogramme waren chancenlos, Holz ist für die explosionsartig wachsende Landbevölkerung das einzige Heizmaterial (die Nächte im Hochland sind kühl) und wird außerdem sehr verschwenderisch und uneffektiv zum Kochen auf offenem Feuer verwendet.
Nach etwa 180km senkt sich die Straße wieder einmal in langen Serpentinen in einen riesigen Talkessel hinab und führt über einen schmalen Damm durch einen mittelgroßen See (Lake Peseqa). An den Ufern, soweit das Auge reichte, dunkelbraunes bis schwarzes Erdreich brach liegend. Aber der Schein trügte, es handelte sich um riesige Lavafelder, einst ausgespien von den benachbarten erloschenen Vulkanen.
Wenige Dutzend Meter weiter rechts wagte sich die Eisenbahnlinie auf einen ebenso schmalen, aus Vulkangestein errichteten Damm, durch das Gewässer. Dieser war in der Mitte so niedrig, dass stellenweise das Wasser an den Schienen leckte.
Etwas später blockierte eine Herde schwarzer Paviane die Straße, gemächlich trollten sie sich bei Annäherung unserer Fahrzeuge. Für die Kinder war das mittlerweile ein gewohnter Anblick, die Begeisterungsausbrüche, wie wir sie noch von unser ersten Safari her kannten, blieben aus. Auch ich fand es nicht mehr der Mühe wert nach dem Fotoapparat zu greifen.
Gegen 10Uhr war die Ortschaft Awash erreicht, bekannt durch ihre Bahnstation und dem der Hauptstadt nächst-gelegenen Nationalpark. Einen Besuch desselben hatten wir uns für die Rückfahrt aufgespart, diesmal stoppten wir nur an der Tankstelle am Ortsausgang um unsere durstigen PickUp's nachzufüllen.
Hier in Awash zweigt die Hauptstraße zur Hafenstadt Asab am Roten Meer ab. Die zahlreichen Tanklastzüge, denen wir unterwegs begegnen, zeugen von der enormen Wichtigkeit dieser Verbindung. Falls die Rebellenarmeen diese Straße einnehmen sollten, kann die Hauptstadt nicht mehr mit Treibstoff versorgt werden. Kein Wunder, dass diese Lebensader mit hohem militärischen Aufwand geschützt werden muss - aber wie lange wird das angesichts des Frontverlaufs noch möglich sein?
Unsere Fahrzeuge verließen nun die glatte Asphaltstraße und verschwanden für die nächsten 300km in einer dicken Staubwolke, typisch für die weiter nach Osten führende unbefestigte Straße ("Rough-Road"). Um die Insassen des nachfolgenden Fahrzeugs nicht gar zu sehr durch die aufgewirbelten Dreckwolken des Führungsfahrzeugs zu belästigen, hielten wir meist einen Abstand von mehreren hundert Metern und verloren uns streckenweise völlig aus den Augen.
Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit und der nur noch ca. 1000m Höhe war die Hitze mittlerweile unerträglich geworden. Die Autofenster mussten dicht verschlossen werden, trotzdem drang der Staub durch alle Ritzen.
Punkt 12Uhr, wir hatten mittlerweile schon wieder 2000m Höhe erreicht, hielten wir Mittagsrast. Eine riesige Schirmakazie schützte uns vor der fast senkrecht stehenden Äquatorsonne - hier in dieser Höhe wehte auch wieder ein erfrischendes Lüftchen.
Leider aber stellte sich heraus, dass wir der Rough Road mit ihren gnadenlosen Erschütterungen einen ersten Tribut zollen mussten: von der Ladefläche unseres PickUps tropfte Benzin, einer der drei mitgeführten 20l-Kanister hatte einen Riss bekommen. Der verbliebene Inhalt war schnell umgefüllt, aber der von unseren Frauen gemachte leckere Kartoffelsalat, der Kuchen und andere Nahrungsvorräte rochen mehr oder weniger penetrant nach Benzin.
Mit kaum gedämpften Optimismus wurde die Fahrt fortgesetzt - Landschaft und Menschen hatten sich spürbar verändert. In großen Serpentinen wand sich die Straße an steilen Berghängen dahin, ab und zu den Blick auf gefährliche Abgründe freigebend.
Mehr und mehr waren in den Dörfern Moscheen zu sehen, mit quer liegendem gelben Halbmond geschmückt. Alle Menschen, besonders die Frauen, waren auffallend bunt bekleidet, die grellfarbenen Tücher standen im angenehmen Kontrast zum satten Grün von Eukalyptusbäumen und Bananenstauden. Artistisch wurde auf den Köpfen alles Mögliche balanciert: Wasserflaschen, Kürbisse, Kanister, Holzbündel ...
Dann plötzlich, ca. 50km vom Tagesziel entfernt, herrschte wieder traumhafte Stille im Fahrzeug - hurra, wir hatten wieder Asphalt unter den Rädern! Wenig später säumten riesige Eukalyptusbäume mit ihren weißen verdrehten Stämmen die Straße, immer mehr Menschen und Hütten deuteten auf dichter besiedeltes Gebiet in. Linkerhand zeigte sich ein großer See mit breitem Schilfgürtel. Längs der Straße waren zum Verkauf gestapelte Schilfbündel zu sehen.
Der Ort Alemaya enttäuschte durch das Fehlen irgendwelcher Besonderheiten, er bestand im Wesentlichen aus einigen Dutzend wellblechgedeckter Gebäude und zahlreichen elenden Hütten. Aber dann endlich entdeckten wir doch am Ortsausgang eine große grüne Tafel: "University of Agriculture Alemaya" - unser Etappenziel.
Eine neue und wunderbar glatte asphaltierte Straße bog nach links von der Hauptstraße ab und führte uns 5km lang zum Eingang des mit Stacheldraht umzäunten riesigen Universitätsgeländes.
Bewaffnete Wächter überprüften eingehend unsere Papiere ehe wir in den Universitätscampus einfahren durften. Dieser machte einen sehr gepflegten Eindruck, viel Grün, hohe Bäume, bunt leuchtende Blumen. Zwischen den öffentlichen Gebäuden hinter Hecken und hohen Bananenstauden versteckt waren einstöckige, im amerikanischen Landhausstil errichtete Häuser zu sehen. In dieser Idylle wohnten die Lehrer der Uni. Schnell fanden wir das Haus der DDR-Familie, wo wir für die nächsten drei Tage gastfreundliche Aufnahme erfahren sollten. Die große Rasenfläche und die Zierblumen wurden von einem Gartenboy gerade mit einem Wasserschlauch abgespritzt. Im Nutzgarten hinter dem Haus gedieh heimatliches Gemüse mehr oder weniger prächtig. Den Hausgiebel überwucherten riesige Bananenstauden.
Das Haus hatte eine Grundfläche von etwa 8 mal 15m. Mitten im geräumigen Wohnzimmer ein großer Kamin. Das hintere Fenster bot einen phantastisch exotischen Ausblick, es wurde vollständig durch eine dahinter wachsende Bananenstaude ausgefüllt und erinnerte mit wechselnden Lichtreflexen an einen tropischen Wald.
Unsere Mädchen hatten schnell Spielgefährten in den etwa gleichaltrigen beiden Sprösslingen der Familie gefunden.
Da wir viel früher als erwartet eingetroffen waren (ca. 15:30) blieb noch Zeit für einen ausgiebigen Kaffeeplausch und einen Rundgang durch das Uni-Gelände.
Unser Besuch war für unsere Gastgeber eine willkommene Abwechslung, denn wie wir erfuhren sind die drei hier lebenden DDR-Familien untereinander heillos zerstritten - angesichts der Isoliertheit und Abgeschiedenheit des hiesigen Lebens eine fast normale soziale Erscheinung über die auch die wohlbehütete Idylle des Uni-Campus nicht hinwegtäuschen konnte.
Das verwunderte uns allerdings nicht. Auch wir haben in der mit über 200 Mitgliedern viel größeren DDR-Landsmannschaft in Addis Abeba erfahren müssen, dass hier im Ausland die zwischenmenschlichen Beziehungen einer viel stärkeren Belastung als in der Heimat unterliegen. Fast immer zerfällt eine solche Gemeinschaft in verschiedene "Lager", die sich miteinander im ständigen Kleinkrieg befinden.
Sofort nach unserer Ankunft in Äthiopien "belehrten" uns die bereits längere Zeit hier lebenden DDR-Kollegen der Uni-Gruppe darüber, dass alle "Vobi-Leute" (Volksbildung, d.h. die hier tätigen DDR-Lehrer) erbärmliche "Berufsdenunzianten" seien, denen man möglichst aus dem Weg gehen sollte, da sie alle besonderen Vorkommnisse sofort den Sicherheitsorganen der Botschaft melden würden. Von uns anfänglich nicht ernst genommen, hat sich dies im Verlauf der Monate leider (zumindest teilweise) bewahrheitet.
Aber auch innerhalb unserer relativ kleinen Uni-Gruppe gab es zwei verfeindete Lager, das der Techniker und das der Mathematiker. Letztere wurden von uns aufgrund ihres kleinkrämerischen und absolut linientreuen Verhaltens per se als "berufsgeschädigt" eingestuft, konsequenterweise beschränkte man jegliche Kontakte zu ihnen auf ein Minimum.
In unangenehmer Erinnerung bleibt ein gemeinsamer Ausflug zum Langano-See, den wir trotz aller Warnungen mit zwei Mathematiker-Familien unternahmen. Wir hatten uns auf die gemeinschaftliche Finanzierung eines ganzen Schafs geeinigt, welches ein Einheimischer für uns am offenen Feuer braten sollte. Als wir mit geringer Verspätung und voller Vorfreude auf ein leckeres Mahl am Lagerfeuer eintrafen, waren von dem ohnehin schon ziemlich mageren Schaf nur noch traurige Reste übrig geblieben, sodass wir verärgert und mit hungrigem Magen wieder abziehen mussten.
Von Außenstehenden belächelt, werden innerhalb kleiner Gemeinschaften offensichtliche Belanglosigkeiten häufig so hochgespielt, dass ein harmonisches Zusammenleben unmöglich wird bis hin zum Entstehen erbitterter Feindschaften.
Es fiel uns beim Aufenthalt in Alemaya allerdings nicht schwer, sofort die Partei der Gastgeber zu ergreifen, da sich die zweite Familie überhaupt nicht blicken ließ und das Oberhaupt der dritten sich am Abschiedsabend als ein unbelehrbarer, hoffnungslos vom stalinistischen Denken befangener "Betonkommunist" zeigte, der nun den Zerfallsprozess der DDR verzweifelt und ohnmächtig aus der Ferne erleiden muss (Beruf: Ökonom; ehemalige Arbeitsstelle: Institut für Hochschulbildung der DDR).
2.Tag, Karfreitag, 13.4.90, Harar
Ingrid, die drei Mädchen und ich hatten im Haus eines bundesdeutschen Kollegen übernachtet, der gerade nach Deutschland zu einer Konferenz geflogen war. Seine Frau, eine Argentinierin, überließ uns den Schlüssel für den Hintereingang.
Tagesziel war das um 700 u.Z. gegründete und nur ca. 25km entfernte Provinzzentrum Harar, eine Stadt mit ausgeprägter moslemischer Kultur.
In der Umgebung sind mehrere ausländische Hilfsorganisationen tätig, so tauchte auf der Mitte der Strecke rechts der Straße ein großes Schild auf: "SOS Kinderdorf".
Harar hat einige architektonische Sehenswürdigkeiten zu bieten: eine alte Stadtmauer mit fünf Toren, mehrere Moscheen, das Rathaus ...
Zuerst aber statten wir dem kleinen, sehr bunten Markt einen Besuch ab, wo wir bedenkenlos fotografieren konnten (im Unterschied zum großen Mercato in Addis Abeba, wo es fast lebensgefährlich ist, sich mit einer Kamera zu zeigen). Die Menschen hier haben offensichtlich viel Freude daran und bettelten förmlich darum, sich in Fotopose stellen zu dürfen.
Da Ausländer hier noch relativ selten sind, wurde die uns begleitende schreiende Kinderschar immer größer. So waren wir froh, uns endlich wieder in unsere PickUps retten zu können, vorher aber hatte ich noch am Marktplatz die riesigen an eine Wand gepinselten und wie Karrikaturen wirkenden Porträts von Marx, Engels und Lenin fotografiert.
Im Unterschied zur Hauptstadt schien hier weit im Osten die stalinistische Welt noch heil zu sein (Wochen zuvor waren in Addis Abeba alle Porträts der Klassiker entfernt worden, ebenso wie das in riesigen Lettern über dem Revolution Square prangende "Proletarier aller Länder ...", das Marx-Denkmal vor der Uni mit grüner Farbe verunstaltet).
Beim Mittagessen im RAS-Hotel erlebte ich eine böse Überraschung und die Bestätigung, dass ja heute Freitag, der 13. war: der teure Fotoapparat hatte endgültig seinen Geist aufgegeben, nachdem es zuvor schon zu Unregelmäßigkeiten mit dem Aufzugsmechanismus gekommen war. Eine weitere makabre Erinnerung an die 300km Rough Road des Vortags entdeckten wir kurze Zeit später: die ständigen Vibrationen hatten auch noch zur Ablösung der hinteren Auspuffaufhängung unseres PickUps geführt. Letzteres konnten wir mit Bordmitteln reparieren, aber alle Versuche, den Fotoapparat am Abend mittels Jürgens Uhrmacherschraubenzieher wieder zum Leben zu erwecken blieben erfolglos. Wegen dieses "Schicksalsschlags" konnte ich viele interessanten Szenen der nächsten Tage nicht mehr auf den Film bannen. Dankenswert, dass sich Jürgen bereit erklärte, mit seiner Kamera doppelt zu fotografieren, ich übergab ihm dazu meine restlichen Leerfilme (leider ist der Kontakt zwischen uns in den Wirren der Nachwendezeit abgerissen, mir selbst sind jegliche Erinnerungsfotos aus diese Zeit (Diapositive) abhanden gekommen).
Am frühen Nachmittag wieder in Alemanya gab es wieder die gemütliche Kaffeerunde vor dem Haus unserer Gastgeber. Sehr lästig allerdings die vielen Fliegen und Mücken, auch wurde es mit Einbruch der Abenddämmerung empfindlich kühl (die Höhenlage von Allemaya entspricht mit 2300m üNN etwa der von Addis Abeba), für den weiteren Aufenthalt im Freien musste man sich dann schon einen Pullover überziehen.
Die Nacht bricht in Äquatornähe unerwartet schnell herein. Kaum länger als 15 Minuten dauert die Dämmerungsphase. Genau während dieser Zeit hielt Roland, unser Gastgeber, eine besondere Attraktion für uns bereit: die Beobachtung von Hyänen, die aus ihren Schlupfwinkeln im umliegenden Wald herauskamen um im Campusgelände nach Abfällen zu suchen. Der Anblick von Autos und deren grelles Scheinwerferlicht scheint die Tiere nicht besonders zu stören.
Nach etwa 1km Fahrt parkten wir unsere beiden PickUps eng nebeneinander auf einem Feldweg, das Fernlicht eingeschaltet. Große Spannung im Innenraum und aufgeregtes Flüstern der Kinder als in ca. 200m Entfernung ein grauer Schatten auftauchte, in ihm zwei grün blitzende Augen. Eine einzelne große Hyäne kam im leichten Trab näher. Kaum dass wir im Scheinwerferlicht das schwarz gesprenkelte Fell und den dunklen Fleck auf der Schnauze ausmachen konnten, verließ das Raubtier den Weg und verschwand in der Dunkelheit. Die anderen Mitglieder des Rudels folgten, waren aber vorsichtiger und umgingen das grelle Licht im weiten Bogen.
Nicht ganz zufrieden mit den Beobachtungsergebnissen wollten wir die Aktion am nächsten Tag wiederholen.
3.Tag, Ostersonnabend, 14.4.90, Dire-Dawa
Heute stand das Harar gegenüberliegende Dire Dawa auf dem Programm. Die Stadt wurde etwa 1900 gegründet und war Hauptsitz der Französisch-Italienischen Eisenbahngesellschaft, die die einzige Bahnlinie des Landes errichtete, die äußerst wichtige Verbindung zwischen der Hafenstadt Djibouti und der Hauptstadt Addis Abeba. Folgerichtig ist auch die Stadt stark vom französischen Einfluss geprägt.
Die von Alemaya kommende Straße windet sich in langen, nicht enden wollenden Serpentinen in das etwa 800m tiefer liegende Dire-Dawa hinab. Im Fahrzeug wurde es zunehmend heißer.
10:30 Uhr standen wir auf dem sonnendurchglühten Bahnhofsvorplatz vor dem Post-Office. Unser Gastgeber musste dort ein aus der Heimat endlich angekommenes Paket abholen, es war im November(!) vergangenen Jahres abgeschickt worden (der Versuch, den darin enthaltenen Weihnachtsstollen zum Nachmittagskaffee zu servieren, scheiterte nach anfänglicher Euphorie allerdings kläglich: die Rosinen waren deutlich angeschimmelt.)
Natürlich stand auf dem Tagesprogramm auch der Besuch des Taiwan-Marktes, von dem unsere Vorgänger bereits Wunderdinge berichtet hatten (Taiwan-Markt deshalb, weil hier fast ausschließlich über den Hafen von Djibouti in's Land gekommene Schmuggelware aus Fernost angeboten wird.)
Dieser Markt hatte riesige Ausmaße, kein Vergleich mit dem von Harar. Früher sollen alle Stände in einer großen Markthalle untergebracht gewesen sein, bis ein Großbrand alles vernichtete. Seitdem wird aller Handel in einer grotesken labyrinthartigen Ansammlung von aus Knüppeln und Ästen, Lumpen und Säcken zusammengebastelten Zelten abgewickelt. Dies taugt natürlich nur als Schutz vor der sengenden Sonne, ist ein tropischer Regenguss in Sicht, setzt eine panikartige Massenflucht ein.
Unser Gang durch das dämmrig-schwüle Verkaufslabyrinth wurde zum bleibenden Erlebnis in vielerlei Hinsicht. Unbeschreiblich das Angebot an Stoffen, Kleidern, Schuhen, Kosmetik bis hin zum großen Radiorekorder aus Japan. Laut schreiend versuchte jeder Verkäufer uns seine Ware aufzudrängen. Aber auch von uns wollte man etwas abkaufen und zwar die Kinder (kein Scherz!). Es ist hier durchaus üblich, dass Eltern für ihre Söhne die Bräute bereits im Kindesalter einkaufen. Kein Wunder, dass sich für unsere drei Mädchen dieser Einkaufsbummel zum Spießrutenlauf entwickelte. Insbesondere die älteste, die 13jährige Heike Hellebrandt, wurde ständig verfolgt, befühlt und an ihren langen blonden Haaren angefasst, sodass wir nach kurzer Zeit fluchtartig den Markt wieder verlassen mussten.
Am Swimmingpool des RAS-Hotels erholten wir uns von den Strapazen des Marktes. Das kühle Harar-Bier schmeckte vorzüglich (wie vieles andere wird hier im Land das Biergeschäft ausschließlich von Europäern betrieben).
Beim Verlassen des Hotelparkplatzes kam uns ein Landrover mit Kennzeichen der DDR-Botschaft entgegen. Die Frontscheibe war nur provisorisch repariert, indem man einzelne Streifen aus Fensterglas nebeneinander gesetzt hatte. Dem nicht genug - wie wir erst später erfuhren hatten unsere Landsleute (Botschaftsangestellte und Vobi) auf der Rough Road auch noch mehrere Reifenpannen zu bewältigen. Bereits vor zwei Stunden hatten wir sie auf dem Markt gesehen, umringt von einer Menschenmenge und wild mit einem Polizisten diskutierend. Grund war die mitgeführte Videokamera. Wegen unerlaubter Aufnahmen wurden sie sogar kurzzeitig verhaftet, zur "Security" gebracht und die Videokassette beschlagnahmt.
Um da nicht mit hineingezogen zu werden machten wir um die Gruppe einen großen Bogen.
Auf der Rückfahrt nach Alemaya hielten wir an und besichtigten die Stelle wo die Straße einen (momentan gerade ausgetrockneten) Fluß überquert. Jeder Regenguss macht die Straße sofort unpassierbar. Erst unlängst, so unser Gastgeber, habe es hier Tote gegeben, denn ein vollbesetzter Bus sei hinweggespült worden.
Bei den vielen notwendigen Fahrten von Alemaya nach Dire Dawa (hier ist auch der Flugplatz) muss deshalb unbedingt auf eventuell einsetzenden Regen geachtet werden, sonst gibt es für Stunden kein Zurück mehr.
Roland machte uns weiterhin auf eine größere Siedlung, bestehend aus Lehmhütten mit flachen grasbewachsenen Dächern, aufmerksam. Hier wohnen Umsiedler aus den Hungerregionen des Nordens. Direkt neben der Straße das Anwesen des Pfarrers, eines BRD-Bürgers. Die drei flachen, wellblechgedeckten Gebäude waren von einem dicken Dornenzaun umgeben, in der Mitte Hühner und Schafe, etwas abseits ein Brunnen.
Wir sahen weiterhin bizarre Felsgebilde, die wir auf der Hinfahrt nicht bemerkt hatten. Wie es auch der Name sagt, ähnelten sie riesigen "Steinernen Elefanten". An einigen Berghängen hatte man Terrassen angelegt und mit Aufforstungsarbeiten begonnen - sicherlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein gegen die überall erschreckend voranschreitende Bodenerosion.
Darüber sprachen wir auch mit Prof. Löschner aus Tharandt (Forstakademie der TU Dresden), der beim heutigen Kaffeeplausch mit anwesend war. Er weilte hier zu einem achtwöchigen Studienaufenthalt. Resigniert berichtete er über die Nutzlosigkeit aller bislang mit DDR-Hilfe begonnenen Neuanpflanzungen von Bäumen. Wenn diese nicht durch das Militär geschützt werden, kommen nachts die Einheimischen um die Setzlinge herauszureißen und zum Kochen und Heizen zu verwenden.
Dazu muss man wissen, dass trotz Äquatornähe aufgrund der Höhenlage die Nächte hier sehr kalt werden können. So ist auch Addis Abeba am frühen Morgen öfters mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Jegliche Heizung ist hier im Hochland von Äthiopien unbekannt und ich selbst habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel gefroren wie in meinem Büro in der Uni. Hier saß ich i.d.R. im dickem Pullover, denn die steil aufsteigende Äquatorsonne hatte keine Zeit, seitwärts durch die Fenster einzudringen um das Innere zu erwärmen.
Abends wiederholten wir unser Hyänenabenteuer vom Vortag, diesmal wurde es ein voller Erfolg.
Einzeln und in größeren Abständen trabten sie dicht an unseren Autos vorbei, mittendrin hatte sich auch ein schlauer Schakal (klein aber mit großen aufrechten Ohren) eingeschmuggelt. Am Abfallplatz neben der Fleischerei ließen es sich die Tiere gut gehen und wir konnten sie nochmals im Scheinwerferlicht beobachten. Auch die Kinder wagten sich sogar aus den sicheren Autos - beim Näherkommen allerdings ergriffen die vorsichtigen Tiere die Flucht.
Roland klärte uns auf, dass allgemein mit Hyänen nicht zu spaßen sei und erzählte von einem traurigen Vorkommnis, welches ein BRD-Kollege hier vor einigen Monaten hatte. Beim abendlichen Ausführen seines Hundes (Cocker Spaniel) wurde dieser plötzlich unruhig, bellte und stürzte in die Dunkelheit davon. Klägliches Jaulen aus der Ferne. Der Mann eilte zur Hilfe, konnte jedoch nur noch die entfliehenden Schatten zweier großer Hyänen erkennen. Von seinem geliebten Hund fehlt seitdem jede Spur.
Neben dem Schreien der Hyänen hörten wir wahrhaftig auch einen echten Löwen brüllen. Wie es sich bald herausstellte handelte es sich aber um den einzigen Löwen im kleinen Zoo, der zur Uni gehört.
Heute war unser letzter Abend, bis tief in die Nacht feierten wir Abschied, wobei wie immer die dramatische politische Entwicklung in unserer Heimat und die sich für uns daraus ergebenden Konsequenzen im Mittelpunkt der Diskussionen standen.
Last but not least: Ohne die Unterstützung von Roland und seiner Familie, unsere freundlichen Gastgeber, wäre unser Aufenthalt deutlich teurer (Hotelzimmer in Harar kostet für Ausländer 76,-Birr pro Nacht) und viel weniger interessant geworden.
4.Tag, Ostersonntag, 15.4.90, Awash Nationalpark
Mit dem Aufbruch hatten wir diesmal keine besondere Eile, lagen doch "nur" 300km Rough Road vor uns und außerdem handelte es sich um die uns bereits von der Herfahrt bekannte Strecke.
Nach einem ausgiebigen Frühstück begannen die Kinder mit Begeisterung buntbemalte Ostereier an einem großen Busch im Garten aufzuhängen.
9:30 starteten wir endlich. Trauriges Winken der beiden 5 bzw. 11jährigen Sprösslinge unserer Gastgeber, waren doch die erlebnisreichen Tage mit den neuen Spielgefährten vorbei und Alltagslangeweile stand wieder bevor.
Diesmal fuhren wir wie die Besessenen. Obwohl auf der Rough Road nur Tempo 50 erlaubt ist bewegte sich die Tachonadel fast ständig zwischen 80 und 100km/h. Wir hatten nämlich festgestellt, dass die Erschütterungen bei dieser Geschwindigkeit deutlich geringer zu spüren waren, teilweise glaubten wir sogar, über Bodenwellen und Schlaglöcher förmlich zu schweben.
Glücklicherweise war die Straße fast leer, es war ja Sonntag. Allerdings winkten am Straßenrand ungewöhnlich viele Anhalter in der Hoffnung samt Sack und Pack (Hühner, Holzbündel,...) mitgenommen zu werden. Leider konnten wir nicht helfen, die Kabinen waren voll besetzt und die Ladeflächen voll bepackt. Insbesondere bei letzterer Variante bestand natürlich auch das Risiko von Diebstahl.
Eine Gruppe junger Männer hatte für unsere mangelnde Hilfsbereitschaft offenbar wenig Verständnis, als wir mit voller Geschwindigkeit vorbeibrausten flogen uns mehrere Steine hinterher, begleitet von lautem Gebrüll. Ein Stein traf - glücklicherweise aber keine Scheibe.
Für eine kurze Mittagsrast wählten wir den gleichen schattigen Platz wie auf der Hinfahrt, unter der großen Schirmakazie etwas abseits der Straße.
Bereits gegen 15Uhr erreichten wir das Eingangstour des Awash-Nationalparks, damit hatten wir für die gleiche Strecke fast eine Stunde weniger als auf der Hinfahrt gebraucht.
Während Jürgen für alle die Eintrittsgebühr (43 Birr) entrichtete, demontierte ich vorsorglich sein vorderes linkes Blinklicht, dem die wilde Fahrt nicht gut bekommen war und welches traurig herunterbaumelte. Daraus ergab sich aber für uns kein größeres Problem, denn die meisten einheimischen Fahrzeuge haben ohnehin keine Blink- oder auch Bremslichter mehr, ihren Platz haben meist rot bemalte Bleche eingenommen und die Fahrer geben, wenn überhaupt, bei aus dem Fenster heraushängenden Arm irgendwelche Handzeichen wenn sie die Richtung ändern wollen.
Die Strecke bis zum inmitten des Nationalparks gelegenen RAS-Hotel beträgt ca. 8km, sie führt durch eine weite von Bergen umrahmte Savannenlandschaft. Rechts des Weges tauchte plötzlich eine einzelne Oryx-Antilope auf. Charakteristisch sind die sehr langen Hörner, das weiße Gesicht mit dem großen schwarzen Fleck, das graue Fell und der helle Bauch. Dann sahen wir eine ganze Herde, friedlich bis zum Bauch im hohen Gras weidend.
Damit hatten wir jetzt schon die Bekanntschaft geschlossen mit der für diesen Landstrich typischen und häufigsten Antilopenart.
Vergleicht man mit dem Nationalpark in Arba Minch, den wir auf einer früheren Safari besuchten, schien der Artenreichtum hier relativ bescheiden zu sein. Außer schwarzen Pavianen und Warzenschweinen bekamen wir in der Folge auch nichts Wesentliches mehr an Großtieren zu Gesicht.
Das RAS-Hotel steht direkt oben am Steilufer des Awash River, von der Terrasse aus bietet sich ein beeindruckender Blick auf das ca. 100m tief eingeschnittene schmale Tal mit dem braune Wassermassen führenden Fluß.
Die Unterbringung der Hotelgäste erfolgt in zwei Dutzend Wohnwagen, die vor Jahren aus Indien importiert wurden. Natürlich funktionierten deren Klimaanlagen schon lange nicht mehr, trotzdem stiegen die Übernachtungspreise in diesen "Backöfen" ständig und liegen gegenwärtig bei sage und schreibe 96 Birr.
Wir waren deshalb froh, unser Zelt auf dem einige Kilometer entfernten Campingplatz aufschlagen zu dürfen, nicht weit vom Ufer des Awash entfernt.
Vorher besichtigten wir noch die berühmten Wasserfälle. Mit mächtigem Getöse stürzt das Wasser in zwei breiten Fronten, immer wieder durch hervorspringende Felsen aufgehalten, ca. 30m in die Tiefe. Die Luft war von feinem Wasserstaub erfüllt, der auf der Haut eine dünne braune Schlammschicht hinterließ.
Nicht weit vom Campingplatz entdeckten wir eine Stelle direkt am Ufer des Awash, die uns für den Aufbau des Zeltes noch günstiger erschien, denn auf der gegenüberliegenden Seite, in ca.50m Entfernung, glaubten wir aufgrund der zahlreichen Spuren im Uferschlamm eine Wasserstelle für Tiere entdeckt zu haben.
Aber bald nachdem wir mit dem Zeltaufbau begonnen hatten zeigten sich am anderen Ufer mehrere in unverständlicher Landessprache schreiende halbnackte Einheimische, einer fuchtelte wild mit einem Speer.
Bis heute ist uns unklar geblieben was sie eigentlich wollten, vielleicht hatten wir sie bei der Jagd gestört. Wir zogen es deshalb vor, diesen Platz wieder zu verlassen und auf den Camping-Site zurückzukehren, der Schutz vor jeglichen neugierigen Blicken vom anderen Ufer bot.
Weit und breit waren wir die einzigen Gäste.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit stand endlich unser großes Zelt, welches auch noch zwei separate Schlafkabinen hatte.
Um es Dieben nicht gar zu leicht zu machen an unser Gepäck zu kommen, fuhren wir die Rückseiten beider PickUps dicht aneinander.
Für die Entfachung des Lagerfeuers nutzen wir die noch warme Glut der bereits vorhandenen Feuerstelle. Das Abendessen bereiteten Beate und Ingrid auf den mitgeführten zwei Kochern (Kerosin bzw. Butan).
In pechschwarzer Nacht saßen wir nun mitten im Urwald an unseren zwei Campingtischen, die von drei Kerzen spärlich erleuchtet wurden.
Unser Antimückenspray half nur kurze Zeit gegen das sich unerträglich steigernde Jucken und Zwicken an den Fußgelenken, die von winzigen Insekten durch die Strümpfe hindurch furchtbar zerbissen wurden.
Der nächtliche Urwald produzierte seltsame und furchterregende Schreie von Affen und anderem Getier, Leuchtkäfer tanzten funkelnd durch die Luft. Der Sternhimmel war von einer bislang nie erlebten Helligkeit und Klarheit. Im Norden entdeckten wir den quasi "auf dem Rücken liegenden" Großen Wagen, gegenüber erstrahlte tief am Horizont zwischen den Baumwipfeln das Kreuz des Südens, Inbegriff des Fernwehs aller europäischen Seefahrer.
Ängstlich scharten sich die Kinder um das Feuer und, ehrlich gesagt, auch uns Erwachsenen beschlich ein mulmiges Gefühl und das nicht wegen der Tiere, sondern aufgrund der sich in letzter Zeit häufenden Überfälle auf Ausländer. Landsleute, die vor uns hier gezeltet hatten, mieteten sich deshalb einen bewaffneten Wächter, der bis zum Morgen am Feuer saß.
Trotz hoher Tagestemperaturen wird es auch hier unmittelbar nach Einbruch der Dunkelheit unangenehm feucht und kühl. Das aber hielt uns nicht davon ab, bei einer Flasche Rotwein über Kurzwellenradio die neuesten Nachrichten der Deutschen Welle zu hören und zu diskutieren (Was wird aus der Währungsunion? Warum kommt unsere neu gewählte Regierung nicht zu Stuhle?).
Gegen 21Uhr gingen alle schlafen. Heike und Jane zogen es vor (wie bereits zu unserer ersten Safari), im PickUp zu übernachten. Schon eher hatten sie es sich dort bequem gemacht und hörten Musik aus dem eingebauten Kassettenrekorder.
Nach einer massierten Attacke von Mücken und Ameisen musste ich panikartig meinen Schlafplatz im Vorraum des Zeltes räumen und in der von Ingrid und Claudia belegten und besser abgedichteten Schlafkabine um Asyl bitten. Aber auch hier blieb es eine strapaziöse Nacht, denn das Mittelteil der Luftmatraze wurde undicht und einige Stechmücken waren, wer weiß wie, dennoch durch die Reißverschlussnähte eingedrungen.
5.Tag, Ostermontag, 16.4.90, Awash Nationalpark - Addis Abeba
Halb sechs setzte die in Äquatornähe ziemlich kurze Morgendämmerung ein und der Urwald verwandelte sich. Fröhliches Vogelgezwitscher und vergleichsweise harmlos klingendes Tiergeschrei lösten das nächtliche Horror-Spektakel ab.
Wir wollten die Tiere bei ihrem morgendlichen Gang zur Tränke beobachten und erhoben uns von unserem Lager, von Insekten zerstochen und mit schmerzendem Rücken.
Hellebrandts waren bereits vor uns aufgebrochen.
Zu unserer Enttäuschung war weit und breit kein Tier zu sehen. Dennoch traf mich beim Einbiegen in eine Waldlichtung ein gehöriger Schreck, nur wenige Schritte vor mir erblickte ich eine am Boden hockende und in eine schwarzweiß karierte Decke gehüllte Gestalt. Aber es war "nur" Beate, die hier offensichtlich vergeblich auf irgendwelche Tiere lauerte.
Wir beschlossen, die Aktion abzubrechen und zum Zeltplatz zurückzukehren und mit den PickUps eine Rundfahrt zu unternehmen. Erfahrungsgemäß sind die Tiere an Autos gewöhnt, während sie beim Anblick einzelner Menschen die Flucht ergreifen.
Nachdem wir die im Auto schlafenden Mädchen erbarmungslos geweckt hatten fuhren wir auf gut Glück los. Von der Minuten vorher noch völlig leeren Lichtung hatte inzwischen eine Herde schwarzer Paviane Besitz ergriffen, die sich von der gerade über der Savanne aufgehenden Morgensonne das Fell erwärmen ließ. Seinem ganzen Gehabe nach zu urteilen war der größte, grimmig dreinschauende Affe der Chef der Truppe. Es ging ganz familiär zu, drollig anzuschauen waren die Affenkinder, die auf ihren Müttern "spazieren ritten".
Ohne Scheu näherten sich die Affen unseren Fahrzeugen und verspeisten die angebotenen Bananen.
Allerdings wurde unsere anfängliche Euphorie, hier endlich die freie Wildbahn zu erleben, erheblich durch die roten Nummernschilder gedämpft, die man in die Ohren der Affen gezwackt hatte.
Auf der weiteren Fahrt durch die morgendliche Savanne glaubten wir, endlich eine uns noch unbekannte Tierart entdeckt zu haben. Die kleinen, zebra-ähnlichen Exemplare weideten am Flussufer. Enttäuscht mussten wir aber beim Näherkommen registrieren, dass es sich lediglich um zwei angepflockte Esel handelte.
Aber dann konnten wir doch noch etwas Neues entdecken: drei Warzenschweine trabten neugierig näher und schienen dann in 30m Entfernung zu beratschlagen, was weiterhin zu tun sei. Letztlich aber schien ihnen die Situation nicht geheuer zu sein, sie machten kehrt und verschwanden im niedrigen Gebüsch.
Zurück am Lagerplatz erwartete uns eine unangenehme Überraschung: Affen waren in der Zwischenzeit in das Zelt eingedrungen und hatten die für das Frühstück bestimmten Nahrungsmittel wie Brot, Bananen, Apfelsinen ... "mitgehen" lassen. Der kleine Topf mit Kartoffeln war komplett verschwunden.
Allerdings waren die Übeltäter keine Paviane, wie wir zunächst vermuteten. Bei den noch auf den umliegenden Bäumen herumsitzenden Exemplaren handelte es sich um eine meerkatzenähnliche Art mit langen Schwänzen und ungemein listig-verschlagener Mimik die uns höhnische Grimassen schnitten.
Einer schwenkte provokatorisch den leeren Kartoffeltopf und schlug auf ihn wie auf eine Trommel, bis er ihn schließlich fallen ließ.
Angesichts der Belästigung durch die sich zunehmend vergrößernden Affenhorde wollten und konnten wir hier nicht länger bleiben, die Grundlage für das Frühstück war ohnehin zerstört. Nach eiligem Abbau des Zeltes ging es direkt zum Hotel um dort geschlagene 2 Stunden auf das Mittagessen zu warten, welches leider erst ab 13:30Uhr serviert wurde. Während dieser Zeit beobachtete uns intensiv ein großer schwarzer Pavian mit verkrüppelter Vorderpfote, er saß auf dem eisernen Terrassengeländer und ließ dabei ungeniert seine knallroten Genitalien baumeln, die Mädchen kicherten.
Wir nutzen die Wartezeit unter anderem dazu, um mit dem Fernglas die hitzeflimmernde Landschaft genauer zu betrachten, die nichts Spektakuläres bot: am gegenüberliegenden Berghang grasbewachsene Tukuls, tief unten parallel zum Fluss eine Kamelkarawane, weiter oben eine große Herde Dromedare direkt am Wasser.
Was lange währt wird gut. Das Mittagessen schmeckte vorzüglich, wir hatten die Spezialität des Hauses bestellt: Oryx-Antilopen-Steak.
Für den Nachmittag stand der Besuch der heißen Quellen auf dem Programm, diese liegen jenseits der Hauptstraße im anderen Teil des Nationalparks. Fast eine Stunde lang durchquerten wir eine flache Grassteppe, die nur ab und zu durch teilweise komplett ausgetrocknete Bäche und kleinere Flüsse unterbrochen wurde. Deren Überquerung war teilweise recht gefährlich, einmal hielten wir ziemlich ratlos vor einem zerbrochenen Betonsteg, die verbliebene Hälfte war etwa etwa genauso breit wie die Spur unserer Fahrzeuge. Nichts für die schwachen Nerven der Frauen, aber mit gegenseitiger Hilfe, einer musste aussteigen und dem Fahrer genaue Anweisungen geben, konnten wir auch dieses Hindernis meistern.
Die berühmten Palm Springs erkannten wir schon von weiten an ihrem oasenhaften Charakter: tiefgrüne üppig wuchernde Palmen inmitten einer steinigen ausgedörrten Steppenlandschaft. Das mit zwei bewaffneten Wächtern geschützte Eingangstor erinnerte uns daran, dass diese Gegend besonders gefährlich ist. Vor einem Jahr wurden hier zwei Franzosen von Einheimischen umgebracht, weil sie deren Frauen fotografiert hatten, was aufgrund ihres Aberglaubens zur deren Unfruchtbarkeit führen soll. Seitdem hat unsere Botschaft den Besuch dieser Stätte strikt untersagt.
Wir ignorierten das Verbot und wurden reichlich für das eingegangene Risiko belohnt, denn wir erlebten hier einstimmig den Höhepunkt unserer Safari.
Umgeben von üppigem Grün und beschattet von riesigen Kokuspalmen strömte ein breiter flacher Bach ruhig dahin, das Wasser mit Sicherheit mehr als 40Grad warm. Eine absolute Wohltat war das heiße Fußbad, welches wir sitzend auf einem quer liegenden Baumstamm genießen konnten.
Dann balancierten alle an's ander Bachufer. Wie durch eine Traumlandschaft gelangten wir an einen Teich, dessen hellblaues und absolut klares Wasser einen Blick auf den mehr als 20m tiefen Grund erlaubte. Das heiße Wasser gestattete keinerlei Leben, damit war auch die Gefahr gebannt, sich mit gefährlichen Krankheitserregern, wie z.B. der gefürchteten Bilharziose, zu infizieren.
Trotzdem verzichteten wir auf ein verlockendes Bad, denn es hätte uns bei einer Lufttemperatur von ebenfalls 40Grad keinerlei Erfrischung gebracht und außerdem drängte die Zeit zum Aufbruch.
Wieder an unseren Fahrzeugen sahen wir, dass beide bewaffneten Wächter uns gefolgt waren, wahrscheinlich um aus besagten Gründen Zwischenfällen mit den Einheimischen vorzubeugen.
Dies erwies sich aber als unnötig, denn jetzt in der Hitze der Mittagszeit war weit und breit kein Mensch zu sehen.
Diesmal brauchten wir bloß eine halbe Stunde um die Straße nach Addis wieder zu erreichen. Außer ein paar Geiern zeigte sich in der hitzedurchglühten Steppe kein Tier. Endlich wieder auf asphaltierter Piste konnten wir bis 130km/h schnell fahren.
Während der gesamten Safari mussten wir mehrmals Straßensperren mit Schlagbäumen und Militär passieren, unsere gelben Nummernschilder sorgten dafür, dass wir i.d.R. unbehelligt passieren durften.
Als wir aber einige Kilometer hinter Awash die strategisch besonders wichtige Straßenbrücke überqueren wollen (gleich daneben führt die Stahlkonstruktion der Eisenbahnbrücke über das Tal des Awash, beide Brücken wurden im Bürgerkrieg mehrfach zerstört), stoppt ein Posten mit schussbereiter MPi unsere Fahrzeuge, aber nach kurzem Blick in das Innere winkte er lächelnd zur Weiterfahrt.
Je näher wir der Hauptstadt kommen, umso auffälliger wurden die Unterschiede in der Kleidung der Einheimischen. Mehr und mehr verschwanden die farbenprächtigen Gewänder und es dominierten wieder die eintönigen weißen Umschlagtücher.
Kurz nach Debre Zeyit überholen wir zwei Toyotas mit gelben DDR-Nummernschildern, drin saßen Vobi-Leute, die wahrscheinlich Ostern am Langano-See verbracht hatten.
Unsere zweite und wahrscheinlich letzte Safari näherte sich ihrem Ende. Gegen 17:30 passierten wir den Checkpoint von Addis Abeba. Mehr als eine halbe Stunde brauchten wir noch, um die restlichen 18km durch das Verkehrschaos bis zu unseren Wohnungen zu bewältigen.
Schlussbemerkungen
Die Bedingungen unter denen wir in Äthiopien tätig waren basierten auf Verträgen, die unser gescheiterter Diktator Erich Honecker mit seinem ein Jahr später ebenfalls kläglich gescheiterten Busenfreund Mengistu abgeschlossen hatte.
Neben ökonomischer Unterstützung und der Entsendung von Lehrkräften an die Universitäten waren es vor allem Waffenlieferungen und die Delegierung von politischen Beratern, mit denen die DDR den Aufbau des Sozialismus in einem der ärmsten und rückständigsten Ländern der Welt unterstützen wollte.
Mit dem Zusammenbruch der DDR wurden diese Vertragsgrundlagen hinfällig und so mussten wir unseren eigentlich für drei Jahre geplanten Auslandseinsatz bereits nach einem Jahr wieder abbrechen.
Geblieben sind unvergessliche Erlebnisse.
In den uns noch verbleibenden zwei Monaten bis zu unserer Ausreise in die Heimat unternahmen wir nur noch zwei kleinere Exkursionen (Langano See, Montchi-Krater bei Ambo).